Was „DER HEILGESANG“ mit Amazonasschamanismus, Tiefenimagination und meinen Liedern zu tun hat...
Aktualisiert: 3. Aug.

Seit dem Erscheinen des Buches ‚Der Heilgesang. Von der seelentiefen Reise eines mutigen Vogels‘ (2017) werde ich immer wieder gefragt, welche Verbindungen es zwischen der Geschichte des kleinen goldgelben Vogels Amarí (von span. amarillo = „gelb“), meiner ethnographischen Arbeit in Kolumbien, meiner Arbeit mit Tiefenimagination und meinen Liedern gibt.
‚Der Heilgesang‘ ist einerseits ein sehr persönliches Buch, andererseits sind darin wesentliche Elemente aus dem Schamanis-mus indigener Bewohner Amazoniens, bei denen ich über mehrere Jahre ethnographisch forschte, eingeflochten.
Und doch ist "Der Heilgesang" kein Buch über Amazonasschamanismus, sondern letztendlich ein Werk meiner eigenen Imagination, in die verschiedene, von mir durchlebte Erfahrungen einfließen.
Wie alles begann
Zu schreiben begonnen habe ich den „Heilgesang“ bereits im Jahr 1998. Damals war ich als Gasthörerin für Anthropologie an der Universidad del Cauca in Popayán eingeschrieben. Aus meinem winzigen WG-Zimmer im Zentrum hatte ich einen herrlichen Ausblick über die wunderbar romantisch weißgetünchte Stadt , auf den Vulkan Puracé der Zentralkordillere bis hin zur andinen Westkordillere. Eines Tages fielen ununterbrochen Schüsse und es hieß, die gesamte Stadt sei von der Guerilla besetzt und man solle nicht mehr auf die Straße gehen. Von nun an wurde quasi Tag und Nacht geschossen, ununterbrochen kreisten Hubschrauber am Himmel; Autos wurden in Brand gesetzt, Supermärkte blieben leer, die Krankenhäuser hatten keine Medikamente mehr. Meine Mitbewohner*innen und ich blieben - bis auf gelegentliche Streifzüge, auf denen wir uns mal mehr und mal weniger erfolgreich Essen besorgten im Haus. Und eines Abends tauchte der kleine gelbe Vogel in meiner Seele auf und begann, mir seine Geschichte zu erzählen ...
In meinem Inneren hatte das Abenteuer jedoch schon viel früher begonnen, nämlich 1996: Ich befand mich im zweiten Semester meines Ethnologiestudiums und erkankte an einem scheinbar unheilbaren Nierenleiden. Wie Amarí durch den alten Vogel Silberfeder wichtige Hinweise für seine Reise ins Waldland bekam, so war auch mir eine solche Schlüsselgestalt in meinem Leben begegnet: Es war mein damaliger Professor Franz Xaver Faust an der Universität Leipzig, der mir damals den Weg nach Kolumbien, insbesondere ins kolumbianische Sibundoytal gewiesen hatte, wo ich den Kamsá-Medizinmann Taita Martín Agreda kennenlernte, der ein Freund von Franz gewesen war. Ich ließ mich von ihm (erfolgreich) behandeln und trank unter seiner Obhut auch das erste Mal von der sagenumwobenen halluzinogenen Dschungelbrühe Yajé (im Westen unter dem Namen Ayahuasca bekannt), die fester kultureller Bestandteil im Schamanismus vieler indigener Völker Nordwest-Amazoniens ist. Taita Martín erzählte mir damals, seine wichtigsten Meister seien indigene Cofán aus dem Tiefland, wo auch diese Pflanze ursprünglich zu Hause ist. Ich war nun erst recht neugierig, hatte aber diesbezüglich erst einmal keine weiteren Pläne.
Und so wie sich Amarí irgendwann, ohne es bewusst beabsichtigt zu haben, im Waldland wiederfand, so fand ich mich eines Tages bei den indigenen Cofán wieder. Alles ging sehr schnell und plötzlich hatte mich das Leben in ein kleines Dorf geführt, das nur per Boot erreichbar war. Ich fühlte mich sehr willkommen und wurde von den Ältesten ins Zeremonialhaus eingeladen. Im Rahmen eines nächtlichen Rituals boten sie mir an, dass ich wiederkommen und dann auch länger bleiben dürfe, was ich später auch tat. Aus dieser ersten Begegnung entstanden viele neue Freundschaften sowie eine tiefe Verbundenheit, die bis heute andauert.
Amazonische Realitäten
Die Heilervögel in der Geschichte Amarís spiegeln den Humor und die Tiefe und dieses Gefühl von Willkommen- und Verbundensein wieder, das ich bei meinen indigenen Freunden erlebt habe. Aber auch ihre erdige Art. Sie leben in einer Welt, in der Spiritualität etwas Selbstverständliches ist und nicht viel Aufhebens darum gemacht wird. Es gibt niemanden, der sich ausschließlich mit spirituellen Dingen befasst, vielmehr ist Spiritualität ganz natürlicher Bestandteil eines Alltages, der aus Arbeit mit der Erde und dem Wald und dem Fluss besteht – Jagen, Fischen, Sammeln, Anbauen. Zum Teil gehen einige Leute heute natürlich auch bezahlter Lohnarbeit in den nahegelegenen Ortschaften nach.
In allen Angelegenheiten gilt stets ein mir sehr sympathisches keep it simple. Der spirituelle Gebrauch von Yajé (Ayahuasca) ist von einer zutiefst komplexen Ethik begleitet und tief in das lokale Weltbild eingebettet, das sich mir erst nach und nach erschloss. Und so taucht auch Amarí Stück für Stück ein in diese fremde Welt, in der so ganz anders kommuniziert wird als er es bisher gewohnt war ...
Das indigene Amazonien ist die Welt von Anakonda und Jaguar. Diese beiden Tiere sind in den hier existierenden Mythologien, aber auch in den Erzählungen des Alltags und ganz besonders in den in Amazonien existierenden Formen von Schamanismus, allgegenwärtig. Im 'Heilgesang‘ finden wir die Wasserschlange Lunala, eine Art Jaguar-Anakonda, die darüber hinaus Ähnlichkeiten mit der gefiederten Schlange alter Traditionen Mittelamerikas besitzt, wird zu einer wichtigen Lehrmeisterin Amarís.
Die Schamanen der Cofán – curacas oder auch taitas genannt – haben eine jahrzehntelange Ausbildung durchlaufen. Eine solche Ausbildung ist mit vielen heftigen Prüfungen verbunden und ganz und gar keine Wochenendangelegenheit (auch nicht eine von ein, zwei oder fünf Jahren), nach der man sich dann eine Federkrone auf den Kopf setzt, eine Jaguarzahnkette umbindet und dann Rituale oder gar Heilbehandlungen anbietet. Auch davon erzählt der ‚Heilgesang‘, wenn von "echten" und "falschen Federn" die Rede ist. Die echten Federn muss man sich im Waldland wahrhaftig verdienen. Auch Amarí verdient sich nach einigen wichtigen Lernschritten jeweils eine Feder; diese Federn sind in der Welt, aus der er stammt, jedoch nicht sichtbar (auch die Cofán-Ältesten geben an, dass sie ihre Zeremonialausrüstung - Ketten, Federkrone etc. - eigentlich auf ihrem spirituellen Körper tragen und nach außen nicht sichtbar sind). Und auf einer besonders tiefen und heftigen Reise in die Tiefen des Herzsees verdient er sich sogar seinen ersten Jaguarzahn …
Zutiefst beeindruckt haben mich von Anfang an die Heilgesänge der Cofán. Ich hatte schon öfters die Gelegenheit gehabt, Heilgesängen anderer indigener Schamanen zu lauschen, aber so etwas hatte ich noch nie gehört! Diese hier waren anders. Sie waren nicht nachsingbar, und hatten eine immense Wirkkraft. Sie waren wie Klänge, die tief aus der Erde selbst stammten. Und gleichzeitig waren sie himmlisch, mal voller geballter Urkraft, mal voller Zärtlichkeit, mal beides gleichzeitig. Oft weinte ich, wenn die Gesänge des Nachts, zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt eines Heilrituals der Cofán erklangen. Und genauso ging es auch Amarí ...
Natürlich sind amazonische Lebenswelten noch viel viel komplexer und auch weitaus weniger romantisch, als es hier in diesem Text oder auch in dem Buch selbst anklingen mag. Diese Seite wollte sich beim Schreiben dieses Buches jedoch nicht offenbaren, vielleicht beim nächsten...
Tiefenimagination PTPP und der Schwan der Sehnsucht
Nachdem ich zwischen 1996 und 2002 schon einige Erfahrungen mit Amazonas-Schamanismus gemacht hatte, begegnete ich im Jahr 2003 dem amerikanischen Psychologen Steve Gallegos, der die Methode der Tiefenimagination (Deep Imagery) entwickelt hat; eine Begegnung, die für mich persönlich damals lebensrettend war, denn ich befand mich zu dieser Zeit in einer tiefen seelischen Krise. Ich lernte nun eine Methode des Inneren Reisens kennen, die keine Pflanzen brauchte und dennoch von einer sehr nachhaltigen Wirkkraft war, und darüber hinaus in meinen Augen für Menschen unserer Kultur sehr viel besser integrierbar war als die verschiedenen Formen von lokalem indigenen Schamanismus, die ich bisher kennengelernt hatte. Heute arbeite ich selbst damit. So liegt auf der Hand, dass ‚Der Heilgesang‘ auch von der Tiefenimagination geprägt ist: Zum Beispiel wird Amarí immer wieder von einer tiefen Sehnsucht überfallen. Irgendwann hört er auf, sich gegen dieses mächtige Gefühl zu wehren, sondern tritt mit ihm in Kontakt. Das Gefühl der Sehnsucht erscheint ihm dann als ein lebendiges inneres Bild, nämlich als Schwan, mit dem Amarí kommunizieren kann. Der Schwan leiht ihm seine Flügel, und bringt ihn zurück ins Waldland…
Im Jahr 2005 ging noch einmal für eine längere Zeit zu den Cofán zurück und beschäftigte mich im Rahmen einer vom DAAD finanzierten ethnographischen Feldforschung tiefgehender mit dem kulturellen Kontext ihres Ayahuasca-Gebrauches und promovierte schließlich zu diesem Thema. Nach der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zog es mich jedoch wieder mehr zu einer verspielteren, lebendigeren, sinnlicheren Form einer solchen. Und so wurde das Büchlein mit Amarís Geschichte also doch noch geboren ...
Und was ist mit den Liedern...? Das ganze Buch ist geprägt von Klängen und ja, schließlich auch von Liedern, und ganz besonders von Amarís eigenem Heilgesang. Diesen findet er tief unten im Herzsee, als er seinem tiefsten Schmerz begegnet.
Viele meiner Lieder haben einen ähnlichen Entstehungsprozess, sie tauchen spontan aus meinem Inneren auf und unterstützen mich dabei, immer wieder neue innere Heilungsprozesse zu durchschreiten. Mit der Zeit fand ich heraus, dass die Lieder auch mit der Welt geteilt werden möchten ...
Ich danke Ulrike Hirsch für die Erstellung des wunderschönen Buchcovers. Auch von ihr gibt es einen kurzen Artikel zu dem Buch. Und es lohnt sich sowieso, sie kennenzulernen.
Vielleicht hast Du Lust bekommen, den ‚Heilgesang‘ zu lesen oder zu verschenken?
Gern kannst Du natürlich auch meine Lieder anhören oder an liebe Menschen verschenken, die gerade Trost brauchen könnten.
Vielleicht möchtest Du aber auch mehr über den Schamanismus der Cofán oder über Tiefe Imagination erfahren? Dann kannst Du auf meiner und den von mir verlinkten Webseiten schmökern oder meinen Newsletter abonnieren, um meine nächsten Blogs lesen zu können.
Ich wünsche Dir viel Freude bei Deiner eigenen Reise, wo auch immer Dich diese entlangführen mag... !
Von Herzen,
MARGRIT
DR. MARGRIT JÜTTE
Deep Reconnection, Imagery & Music
Interview mit Radio F.R.E.I.